Der Spiegel


 

Es ist fürwahr gar wundersam,

daß im Spiegel man sich sehen kann;

auch wenn der Mensch darin,

zumeist ich selber bin.

Man kann in ihm Sachen sehn,

selbst wenn die im Rücken stehn.

 

Allerdings kennt er keine Gnade,

zeigt die Falten in jedem Grade.

Ziert ein Pickel das Gesicht,

der Spiegel verbirgt ihn nicht!

Mancherorts hängt der Spiegel blank und bloß,

andernorts ziert ihn ein Rahmen fein und groß.

 

Wie ins Land zieht manches Jahr,

zeigt im Antlitz er fürwahr.

Man kann ihn bestechen und betören nicht,

weil immer er die Wahrheit 'spricht'.

Drum wär's auch gut in der Politik,

wenn täglich man in ihn blick'!

 

Doch ist kein Spiegel nicht im Haus,

läuft wüst man rum, sieht verboten aus;

den Scheitel zieh'n kann man vor ihm gut -

auch prüfen, ob einen ziert der neue Hut.

Man kann vor ihm wohl Wildwuchs dämmen,

mit Muße das Haupthaar kämmen.

 

Ob die Schminke wohlverteilt im Gesicht,

der Spiegel, der verbirgt es nicht.

Auch kann man vor ihm Faxen machen,

derart, daß darob man muß lachen.

Jedoch, putzt man den Spiegel nicht,

scheints als hätt' man Flecken im Gesicht.

 

Und tut man aber ihn dann putzen,

kann man ihn in voller Pracht benutzen.

 Doch manchmal mag man nicht in ihn schauen,

man wähnt darin das Grauen;

oft ist dies so am Morgen,

oder wenn gar viel der Sorgen.

 

Aber wenn man sich rasieren will,

hilft so ein Glas recht viel,

auch beim Pickel drücken,

und beim Nasenhaare pflücken,

mag gern man in ihn seh'n,

in gespannter Haltung vor ihm steh'n.

 

So ein Spiegel, der ist fein,

mag adrett und gepflegt man sein.


 

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